Besuch bei Mustafa Sengül und Familie

Heute sind wir zu Gast bei Mustafa Sengül und seiner Familie in der Simonsstraße. Nach einer sehr freundlichen Begrüßung und nachdem  ich – wie es in türkischen Familien Brauch ist –  mich meiner Straßenschuhe entledigt habe und in wunderbare hellblaue Pantoffeln geschlüpft bin, führt mich Frau Sengül durch die erst seit kurzem bezogenen Räumlichkeiten und alles wirkt sehr hell, freundlich und liebevoll eingerichtet, auch die beiden Räume der drei noch bei den Eltern wohnenden Kinder.

Dann sitzen wir in dem einen der zwei Wohnzimmer, werden mit Tee, Kaffee und türkischen Spezialitäten verwöhnt und Herr Sengül erzählt uns, wie er und seine Familie nach Deutschland, Wuppertal und zum Arrenberg gekommen ist.

Als 1970 die Provinz Kütahya von einem schweren Erdbeben heimgesucht wurde, wurde es für die Bewohner noch problematischer, Arbeit zu finden und der Vater entschied sich aus der großen Not und mit dem Mut der Verzweiflung – wie viele Landsleute- sein Glück in Deutschland zu suchen und ließ seine Frau und die beiden Söhne erst einmal zurück in der Türkei. Dabei musste er sich noch in seinem Heimatland einer menschenunwürdigen Prozedur unterziehen, nämlich der gesundheitlichen Untersuchung, ob er fit genug war, um als Arbeitskraft in Deutschland „auserkoren“ zu sein, selbst die Zähne wurden auf Vollständigkeit untersucht. Der Vater plante damals, ein halbes bis höchstens ein Jahr in Deutschland zu arbeiten, um seine Schulden zu bezahlen, um dann wieder nach Hause zurück zu kehren.

Er kam zuerst nach Wetzlar, ziemlich bald aber nach Wuppertal und an den Arrenberg. Aus dem geplanten halben Jahr wurde dann doch der Rest seines Lebens. Seine Frau kam 1971 nach, und die beiden Söhne blieben erst einmal bei der Großmutter. 1979, im Alter von dreizehn Jahren kam Mustafa Sengül mit seinem Bruder dann nach Wuppertal und direkt an den Arrenberg. Seine „kleine“ Schwester wurde in Deutschland geboren.
Nach einem Deutsch-Crash-Kurs folgte Mustafa der Schule so gut, dass er seine mittlere Reife machte und tatsächlich bei der Bundesbahn eine Lehrstelle als Maschinenschlosser erhielt. Die Bundesbahn übernahm von den 22 Lehrlingen gerade mal drei, darunter ihn, und er ist der einzige von ihnen, der immer noch seit 26 Jahren als Schlosser bei der Bahn beschäftigt ist. Er war damals auch der erste, der mit türkischem Pass als gelernte Fachkraft beim Betriebswerk Wuppertal angestellt wurde.

Frau Sengül erzählt, dass sie „fast in Deutschland geboren ist“, d.h. sie kam mit zweieinhalb Jahren von der Türkei nach Recklinghausen. Ihren Mann lernte sie über gemeinsame Bekannte kennen, und die Familien, die zufällig beide aus dem gleichen Ort in der Türkei stammten,  meinten, dass die beiden gut zusammen passen würden. Seit 26 Jahren sind sie nun verheiratet, haben außer den beiden Töchtern Hatice und Ayse und Nesthäkchen Mehmet Ali noch eine verheiratete Tochter. Halime, Enkel Mehmet und Schwiegersohn wohnen auch am Arrenberg  in der Gutenbergstraße. Mustafas Schwester lebt mit ihrer Familie im gleichen Haus wie Familie Sengül.

Der Familienzusammenhalt ist in ihrer Kultur sehr wichtig. Von Anfang an haben alle Familienmitglieder, die hier in Wuppertal waren, zusammengelebt, fleißig gearbeitet und auch zusammen gewirtschaftet. Das verdiente Geld kam in einen gemeinsamen Topf, davon wurde gelebt, bedürftige Familienmitglieder in der Türkei unterstützt und noch gespart. So konnte am Arrenberg ein Haus gekauft werden. Durch Fleiß und Zusammenhalt wurde so sehr viel erreicht.

Mustafa Sengül fühlt sich hier am Arrenberg sehr wohl und empfindet dieses Viertel als seine Heimat, in die er auch weiter seine Kraft und sein Geld investieren möchte. Er ist ein „Weltmensch“, wie er sich ausdrückt. Er respektiert die deutschen Gesetze, bleibt dabei aber weiterhin türkischer Staatsbürger  und seiner Kultur verpflichtet. In dieser Kultur gilt der Respekt gegenüber den älteren Menschen und dem Amt, das ein Mensch bekleidet. Er zählt uns die deutschen Politiker auf, denen er Respekt zollt: Franz Josef Strauß, Willi Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl und Johannes Rau. Gegenwärtige Politiker fallen ihm dabei nicht ein.

Wie man den Arrenberg weiter voran bringen könnte?  Er selbst hat gerade zwei seiner Ladenlokale an junge Kulturschaffende vermietet.
Seiner Meinung nach bräuchte man hier am Arrenberg vor allem kleine Handwerksbetriebe, die Jugendlichen, die etwas mit der Hand machen wollen und können, vor Ort Lehrstellen anbieten. Er hofft auch auf das neue Jobcenter, das sich gerade um diese Jugendlichen kümmern will.

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2 Antworten auf Besuch bei Mustafa Sengül und Familie

  1. Mine Guenes sagt:

    Toller Besuchs-Bericht :) scheint ja ein sehr interessanter tag gewesen zu sein!…

  2. Ingeborg Karsties sagt:

    Endlich erscheint der erhoffte Bericht über eine türkische Familie im Viertel. Doch beim Lesen bin ich schamrot geworden. Dieser Arbeitsmarkt ist ja schlimmer als ein Pferdemarkt und erinnert an die Berichte vom Sklavenmarkt, wie schamlos, wie peinlich. Es freut mich, dass es dieser Familie so gut geht.

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