Im vorigem Frühjahr rief mich mein Freund William aus Schottland an. Voller Begeisterung erzählte er mir von der neu gegründeten University of the Highlands and Islands von Schottland. Die Studenten beschäftigten sich mit der Herkunft und Geschichte ihrer schottischen Heimat. Dabei sei sie, bei der Durchsicht der Hinterlassenschaften der Abbey of Iona, auf Hinweise gestoßen, die einen Zusammenhang mit dem Bergischen Land vermuten ließen.
Es handle sich vermutlich um eine Aussiedlung oder auch die Suche nach neuen Lebensräumen zu Anfang des neunten Jahrhunderts. Die Pikten, keltische Stämme, die auf den inneren Hebriden Schottlands lebten, wurden im Norden von plündernden Wikingern bedroht. Von Süden her versuchten irische Skoten deren Kultur zu vereinnahmen.
Der Sage nach wurden dreizehn junge piktische Schotten, fünf aus den Cuillins und acht von der Isle of Arran auf ein Entdeckungsboot gesetzt. Zwölf an den Riemen und der
Dreizehnte, traditioneller Weise der Besitzer des Bootes war der Steuermann. Pete Young übernahm den Posten, jüngster Sohn des Eigners, ein Kindskopf und Draufgänger, der
unter dem Kommando von Lesslie Wolf die Welt entdecken sollte. Mit von der Partie waren neben Wolfs Schwester Mary Emmy Cole, die Tochter eines Köhlers von Arran und drei weitere junge Frauen. Die Mönche der heiligen Columba Bruderschaft wussten von keltischen Siedlungen östlich des Rheins. So wurde das Ziel der Reise die „Keldagau“, ein
hügeliges Waldgebiet, das zwischen zwei kleinen Nebenflüssen des Rheins liegen musste.
Auf der Überfahrt durch die Nordsee geriet man in einen Sturm, bei dem zwei Mann über Bord gingen. Wolf, erbost über die Unfähigkeit seines Steuermanns, band Pete vorne an
den Bugmast und ergriff selbst die Pinne. Young soll erst wieder losgebunden worden sein, als er die offensichtlich schwer zu findende Mündung des Rheins entdeckt hatte. In der
Nähe des heutigen Utrechts gerieten sie in einen Kampf, da man sie mit den gefürchteten Wikingern verwechselte.
Acht geschundene Schotten, unter ihnen die Geschwister Wolf, Emmely die Köhlerin, John von Cuillins und Pete, dessen linker Unterarm allerdings auf dem Grund einer friesischen
Gracht lag, ruderten weiter den Rhein hinauf. Kurz vor Colonia bogen sie östlich in die Wupper ein. Hinter dem Dorf „Lecheling“ versteckten sie ihr Boot im Schilf, da es nicht mehr genügend Wasser unter dem Kiel hatte und suchten sich in den Auen einen Lagerplatz. Angezogen von den Gerüchen der zu versorgenden Wunden schlich ein wilder Rüde heran. Lesslie Wolf warf ihm einen Broken Pökelfleisch zu. Das Tier verschwand in der Dunkelheit. Nach Tagesanbruch stand das stolze Tier auf einem Felsen über der Wupper. „Ihm nach!“ befahl Lesslie. Nach anstrengendem Tagesmarsch entlang des Flusses folgten sie dem Tier südöstlich hinauf in den Wald. Auf einer runde Lichtung begann man zu roden. Unten im Tal in „Elverfeld“ lebten die Borchter, ein wortkarger Stamm, der sich den Franken und Westfalen immer wieder zur Wehr gesetzt hatte. Mary, Emmely, Lesslie und John stießen mit den gesäumten Bohlen an die Pforte des Borchter Hofes. „Wat wollt Ihr dann!“ rief Walter Brukschen, der Altbauer des Hofes ihnen entgegen. „Wat wollt Ihr dann! Wat wollt Ihr dann!“ wiederholten die vier laut mit wachsender Freude darüber, dem Klang der Worte habhaft zu sein. Walter Brukschen konnte nur noch lachend „Wat seid ihr denn für Bekloppte!“ antworten.
„Wat wollt Ihr dann!“ war der erste germanische Satz der Fremden. Noch Jahrhunderte danach skandierten Nachfahren der Schotten diesen Satz mit Inbrunst ohne sich dessen
Ursprungs bewusst zu sein.
Sie erhielten zwei Schafe, drei Hühner und einen Hahn für ihr Holz. Ihr wildes Aussehen, ihre zotteligen Mähnen, der kräftige Wuchs und ihr offenes Lachen, die karierten Röcke
schreckten die Menschen im Tal der Wupper keineswegs ab. Im Gegenteil, deren Lebenslust, die Gabe Geschichten zu erzählen, die Fähigkeit „Anzupacken“ führte zu einer
wahrlich fruchtbaren Nachbarschaft.
Erst begannen die Schotten ihre typischen runden Häuser auf ihrem Berg zu bauen. Um die gerodeten Hänge errichtete man Wälle fürs Vieh.
Lesslie Wolf zog im hohen Alter von achtundvierzig Jahren mit zwei seiner Söhne an den Quellteich der Anger. Seine schottische Frau gebar ihm zehn Töchter und neun Söhne.
Emmy Cole schnappte sich den zweitgeborenen der Brukschens und zog mit ihnen zur Furt flussabwärts. Die Schotten versorgten viele Höfe mit Holzkohle. Der Weg zur Kohlfuhrt,
den die „Schwatten“ mit der Kiepe entlang zogen, wurde der „Schwarze Weg“. Pete Young zog mit seinem Hahn und drei Hühnern noch ein Stück weiter den Berg hinauf. Der
junge einarmige Steuermann aus den Cuillins zeugte mit zwei Frauen – die erste starb bei der dritten Geburt – und vier Mägden insgesamt dreiunddreißig Nachfahren!
Offensichtlich waren die Einheimischen stolz darauf, einen Schwiegersohn aus den schottischen Kullins zu haben, der Hühner und Schafe züchtete und der gegorene Gerste in
alten Fässern reifen ließ. Ob die Schwägerin von Arran aus dem piktischen Haggis den bergischen Pannas kochte, ist nur durch die Ähnlichkeit der Konsistenz zu belegen. Die
Siedlung Arrenberg, südlich der Wupper mit seinen lang gezogenen Weiden, seinen runden Hütten, seinen wilden Schotten wurde ein Teil von Elberfeld und der erste Hahn des
ersten Cullingsiedlers wurde zum Namensgeber für Küllenhahn.
Lesslie Wolf soll jedes Jahr mit seinem Rüden nach Leichlingen gepilgert sein.
Nicht selten soll er mit Walter Brukschen beim Schnaps über schottische Befestigungsanlagen debattiert haben.
So ist der Sohn einer piktischen Dynastie der Insel Arran nicht nur der eigentliche Namensgeber des Rüdensteins, und mit seinem Hund auch nach wie vor im Wappen der
Niederbergischen Siedlung „Wolferrode / Wülfrath“ zu finden, sondern vermutlich auch einer der Baumeister der Fliehburg Elberfeld.
William McFluncert bat mich noch, dem Leiter des katholischen Archivs der ökumenischen Völkerverständigung, Hans-Jürgen Verkohlmich ein Flasche Single Malt zu überreichen.
Ohne dessen Recherchen in den Aufzeichnungen der Zisterzienserabtei Altenberg lägen wesentliche Teile der Sage nach wie vor im Dunkeln.
Durch unsere möglicherweise verwandtschaftliche Verbindung fühlen sich mein Freund William und meine Wenigkeit verpflichtet, weiter Einzelheiten der Sage des Lesslie Wolf
und seiner Gefährten unseren Mitmenschen darzulegen, sobald es neue Hinweise gibt.
Ralf Winkels
Wuppertal 01.07.2012
Da wösse uns abba wat vertellen. Ich freu mich auf neue Hinweise. Die Geschichte läuft in mir als Comic ab, zum Weinen schön. Danke, Ingeborg Karsties